Für die Herstellung und den Vertrieb von Produkten sind zwei unterschiedliche Arten von Richtlinien relevant und zu beachten:
1. Richtlinien, die Rechtsgrundsätze oder allgemeine Sicherheitsprinzipien beschreiben wie z.B.: Produkthaftungsrichtlinie
Allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie
Richtlinie zur CE-Kennzeichnung
2. Produktrichtlinien, die die (Sicherheits-) Anforderungen an spezielle Produkte oder Produktgruppen für das Inverkehrbringen beschreiben, einschließlich der dazugehörenden Nachweisverfahren.
Produkthaftungsrichtlinie
Die Produkthaftungsrichtlinie 85/374 EG6 regelt die Haftung auf Schadensersatz gegen den Hersteller für Schäden, die bei Anwender*innen oder Endabnehmer*innen infolge eines fehlerhaften Produkts entstanden sind. [1] Die Richtlinie ist in Deutschland mit dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) in nationales Recht umgesetzt.
§ 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG definiert die Haftungsgrundlage:
„Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.“
§ 3 ProdHaftG definiert einen Fehler wie folgt:
„Ein Produkt hat einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere
a) seiner Darbietung, (Datenblätter, Prospekte, Broschüren, Werbung, Messeauftritte) [2]
b) des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,
c) des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann.
Ein Produkt hat nicht allein deshalb einen Fehler, weil später ein verbessertes Produkt in den Verkehr gebracht wurde.“
Auf diese Haftungsgrundlagen bezieht sich auch das Produktsicherheitsgesetz, wodurch dann der Bogen zu der Verantwortung der Wirtschaftsakteure (Hersteller, Importeur, Händler) gespannt wird.
Für weitere Informationen siehe auch:
Produkthaftungsrichtlinie: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A31985L0374
Produkthaftungsgesetz: https://www.gesetze-im-internet.de/prodhaftg/.
Produktsicherheitsrichtlinie und Produktsicherheitsgesetz
Die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG gilt für alle Produkte, für die es kein produktspezifisches Gesetz gibt. Sie definiert allgemeine Anforderungen an die Sicherheit des Produkts für den Gebrauch sowie für das Inverkehrbringen der Produkte auf dem EU- Binnenmarkt. Die Richtlinie verpflichtet die Hersteller und Importeure dafür zu sorgen, dass ausschließlich sichere, einwandfreie und hochwertige Produkte in Verkehr gebracht werden, technische Unterlagen für das Produkt bereitzustellen und die CE-Kennzeichnung durchzuführen. Die Produktsicherheitsrichtlinie wird in Deutschland durch das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) in nationales Recht umgesetzt und dient gleichzeitig der Umsetzung weiterer, von der Europäischen Union erlassener Rechtsvorschriften zum Inverkehrbringen oder Bereitstellen von Produkten auf dem europäischen Binnenmarkt in deutsches Recht. Dazu zählen u.a. folgende Richtlinien, die in Deutschland als Verordnungen zum ProdSG umgesetzt wurden:
Richtlinie über Maschinen (2006/42/EG)
Richtlinie für elektrische Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (2014/35/EU)
Richtlinie über einfache Druckbehälter (2014/29/EU)
Richtlinie über Druckgeräte (2014/68/EU)
Richtlinie über die Sicherheit von Spielzeug (2009/48/EG)
Weitere Richtlinien mit der Umsetzung in deutsches Recht sind in der Tabelle 1 angegeben. In den anderen Mitgliedsstaaten kann die Umsetzung in Nationales Recht abweichen. Darüber hinaus gibt es spezifische EU-Regelungen für bestimmte Produkte oder Produktarten, die von einem eigenständigen, produktspezifischen Gesetz erfasst werden und dafür nicht in den Geltungsbereich des ProdSG fallen, wie z.B.:
Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV-Gesetz)
Telekommunikationsausrüstungen (Telekommunikationsgeräte-Gesetz)
Medizinprodukte (Medizinproduktegesetz)
Lebens- und Futtermittel
Pflanzenschutzmittel
lebende Pflanzen und Tiere
Antiquitäten
gebrauchte Produkte, die vor ihrer Verwendung instandgesetzt oder wiederaufgearbeitet werden müssen
Hinweis: Alle mobilen Roboter fallen in den Geltungsbereich des EMV-Gesetzes. Das ProdSG findet Anwendung auf alle Produkte, die im Rahmen einer Geschäftstätigkeit auf dem Markt bereitgestellt, ausgestellt oder erstmals verwendet werden.
Dabei werden vom Gesetz folgende Produkte erfasst:
Waren, Stoffe, Zubereitungen, die durch einen Fertigungsprozess hergestellt worden sind
Verbraucherprodukte, neue, gebrauchte oder wiederaufgearbeitete Produkte, die für (End-) Verbraucher bestimmt sind oder von diesen benutzt werden könnten
Produkte, die im Rahmen von Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden (z. B. Leihgeräte)
Für die Bereitstellung von gebrauchten Produkten auf dem Markt ergibt sich eine Nachrüstpflicht nur dann, wenn das Produkt nach dem aktuellen Erkenntnisstand unsicher ist!
Das ProdSG unterscheidet bei der Verwendung von Produkten zwischen einer:
bestimmungsgemäßen, vom Hersteller definierten Verwendung, bzw. der üblichen Verwendung
vorhersehbaren Verwendung (Fehlanwendung), die sich aus anderen möglichen Verwendungen ergibt (z.B. Personentransport auf einem mobilen Roboter, der dafür nicht ausgelegt ist!)
Bei Servicerobotern ist die bestimmungsgemäße Verwendung die Art und Weise wie der Roboter verwendet werden muss, um seine Aufgabe richtig, vollständig und sicher erfüllen zu können. Dies bezieht die Umwelt- und Umgebungsbedingungen ein und muss in der Betriebsanleitung angegeben werden.
Definition „bestimmungsgemäße Verwendung“: Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, Anhang I, 1.1.1. h: „Die Verwendung einer Maschine entsprechend den Angaben in der Betriebsanleitung.“ EN ISO 12100:2010, Abschnitt 3.23: Verwendung einer Maschine in Übereinstimmung mit den in der Benutzerinformation bereitgestellten Informationen.
Neben der bestimmungsgemäßen Verwendung verlangt die Maschinenrichtlinie auch Informationen über die vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung (Artikel 1.7.4.1 c), die auch in der Betriebsanleitung angegeben werden muss.
Eine mangelhafte Beschreibung vernünftigerweise vorhersehbarer Fehlanwendungen kann Auswirkungen auf die Herstellerhaftung haben, da gemäß der europäischen Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte 85/374/EWG der Hersteller für fehlerhafte Produkte haftbar gemacht wird. In die Beurteilung, ob ein Produkt fehlerhaft ist, fließen alle Umstände mit ein – einschließlich des „Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann“.
Typische Beispiele für vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung wären:
Serviceroboter für Indoor-Anwendung wird im Außenbereich eingesetzt
Transport von Personen oder Waren, wenn der Roboter dafür nicht vorgesehen ist
Laden an einer nicht zugelassenen Ladestation
Ausführung von Aufgaben bzw. Betrieb außerhalb der Spezifikation, (mechanische oder elektrische Belastung, elektrische Nennwerte; EMV-Umgebung, …)
Praktisch fallen alle Produkte für den privaten oder kommerziellen Gebrauch unter das ProdSG oder eine der Verordnungen zum ProdSG.
Adressaten des ProdSG [3]
Das Produktsicherheitsgesetz richtet sich an Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer und Händler und definiert für diese Marktteilnehmer die Pflichten. Daneben gibt es noch weitere Marktteilnehmer, wie z.B. den Generalbeauftragten im Anlagenbau, den Integrator in der Automatisierungstechnik, die zwar nicht im ProdSG erwähnt werden, aber durchaus die Pflichten eines Herstellers erfüllen müssen.
Hersteller ist, wer ein Produkt
herstellt,
wiederaufarbeitet,
wesentlich verändert,
unter seinem Namen bzw. seiner Marke in Verkehr bringt (Quasi-Hersteller).
Eine wesentliche Veränderung ist dann zu erwarten, wenn durch die Veränderung am Produkt neue Gefährdungen und Risiken entstehen können, z.B. durch Änderung der Funktionen einer Maschine, der Schnittstellen, des Durchsatzes, der Geschwindigkeit, des Sicherheitskonzepts. [4]
Als Hersteller gilt auch der Integrator, der z. B. aus mehreren Systemen eine Gesamtlösung (z.B. eine Anlage) in Verkehr bringt. Achtung: Der Betreiber kann auch zum Hersteller werden, wenn er am Produkt eine wesentliche Veränderung durchführt!
Bevollmächtigter ist
im europäischen Wirtschaftsraum niedergelassen,
wird vom Hersteller schriftlich beauftragt,
erfüllt in seinem Namen seine Verpflichtungen,
Ansprechpartner für die Behörden.
Der Einführer (Importeur) ist
in der EU niedergelassen,
bringt ein Produkt aus einem Drittland auf dem Gemeinschaftsmarkt in Verkehr,
versorgt auf Anfrage die Marktaufsichtsbehörden mit den notwendigen Informationen.
Händler ist jeder, der:
geschäftsmäßig ein Produkt auf dem Markt bereitstellt,
nicht Hersteller, Bevollmächtigter oder Einführer ist. Ein Hersteller oder sein Bevollmächtigter, ein Importeur oder Händler darf kein Produkt bereitstellen, von dem er weiß, dass es nicht sicher ist.
Sicherheitsanforderungen an das Produkt und Umsetzung
Bei der Beurteilung der Sicherheit eines Produkts sind nach § 3 des ProdSG folgende Aspekte zu beachten:
Eigenschaften eines Produkts (Zusammensetzung, Verpackung, Anleitungen für den Zusammenbau, die Installation, die Wartung und die Gebrauchsdauer)
Mögliche Ein- und Wechselwirkungen auf oder mit anderen Produkten, z.B. EMV (wenn eine Verwendung mit anderen Produkten oder in ihrer Nähe zu erwarten ist)
Produktbezogene Angaben (Aufmachung, Kennzeichnung, Warnhinweise, Gebrauchs- und Bedienungsanleitung, Angaben zur Beseitigung sowie sonstige produktbezogene Angaben)
Verbraucher- bzw. besonders gefährdete Verwendergruppen
Ausblick und Zusammenfassung
Die Rechtsvorschriften zur CE-Konformität von Produkten berücksichtigen größtenteils nur den Sicherheits- und Gesundheitsschutz der Menschen. Der zunehmende Einsatz von Serviceroboter führt zu neuen Interaktionsformen mit dem Menschen und beeinflusst damit auch die bestehende Lebenswelt. Insbesondere bei autonome und lernende Robotersysteme, bestimmt nicht nur Entwurf, Konstruktion und Programmierung die Funktionalität, Entscheidungen und Interaktionen der Maschine, sondern auch Qualität und Quantität der Datensätze, die vor oder sogar während dem Betrieb von ML-Systemen verfügbar sind. [5] Die Einbindung solcher Systeme in den Alltag der Menschen und in ihre Interaktion mit den Maschinen wird einerseits zu einer Anpassung der Roboter an den Menschen führen, andererseits auch umgekehrt zu einer Anpassung des Menschen an den Roboter. Dabei kann es zu Konstellationen kommen, die aus ethischer und moralischer Sicht nicht wünschenswert oder nicht akzeptabel oder sogar gesetzlich verboten sind. Die ethischen und sozialen Aspekte der Mensch-Roboter-Interaktion (MRI), sowie die persönlichen Schutzrechte der Menschen gewinnen also mit zunehmender Autonomie und Lernfähigkeit der Systeme an Bedeutung und müssen zusätzlich zu den Gesundheits- und Sicherheitsschutzanforderungen im Produktlebenszyklus betrachtet werden.
Referenzen
[1] Ausführliche Darstellung der internationalen Produkthaftung: Rödl & Partner, Handbuch internationale Produkthaftung: Produktsicherheit in den wichtigsten Märkten weltweit, 2. Auflage, Köln: Bundesanzeiger Verlag, 2009.
[2] Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte. [Online]. Verfügbar: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A31985L0374. [Abruf Juli 18, 2024].
[3] Europäische Kommission. (2022). Bekanntmachung der Kommission. Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2022 („Blue Guide“). [Online]. Verfügbar: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX%3A52022XC0629(04)&from=EN. [Abruf Juli 18, 2024].
[4] Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (9 April 2015). Interpretationspapier „Wesentliche Veränderung von Maschinen“. [Online]. Verfügbar: https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsschutz/Produktsicherheit/interpretationspapier-wesentliche-veraenderung-von-maschinen.html. [Abruf Juli 18, 2024].
[5] D. Marino, G. Tamburrini. (2006). Learning robots and human responsibility. International Review of Information Ethics, 6(12), 46–51.